Die Zeiten, in denen Städte ihre Verkehrsplanung primär am Individualverkehr ausrichteten, sind vorbei. Moderne urbane Mobilität in Deutschland setzt auf die intelligente Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel zu einem nahtlosen Gesamtsystem. Diese multimodalen Konzepte ermöglichen es Stadtbewohnern und Pendlern, für jede Strecke das optimale Verkehrsmittel zu wählen und flexibel zu kombinieren.
Von der monomodalen zur multimodalen Mobilität
Die Entwicklung der urbanen Mobilität in Deutschland lässt sich in mehrere Phasen unterteilen:
- Traditionelle Phase: Verkehrsmittelwahl war meist habituell und monomodal (entweder Auto oder ÖPNV)
- Diversifizierungsphase: Zunehmende Nutzung verschiedener Verkehrsmittel, aber noch ohne systematische Verknüpfung
- Integrationssphase: Beginn der Vernetzung verschiedener Mobilitätsangebote (Bike & Ride, Park & Ride)
- Aktuelle Phase: Umfassende digitale und physische Integration zu nahtlosen multimodalen Mobilitätssystemen
Heute verstehen wir unter multimodaler Mobilität die bewusste und effiziente Kombination verschiedener Verkehrsmittel für eine Wegstrecke oder innerhalb eines Zeitraums. Dies kann bedeuten, morgens mit dem Fahrrad zur S-Bahn zu fahren, mit dieser ins Stadtzentrum zu pendeln und für den Rückweg ein Sharing-Fahrzeug zu nutzen.
Technologische Enabler: MaaS und digitale Plattformen
Die technologische Grundlage multimodaler Mobilität bilden moderne Mobilitätsplattformen nach dem Konzept "Mobility as a Service" (MaaS). Diese digitalen Lösungen ermöglichen:
- Intermodale Routenplanung: Kombination verschiedener Verkehrsmittel für optimale Verbindungen
- Echtzeit-Informationen: Aktuelle Daten zu Verfügbarkeit, Verspätungen und Alternativen
- Einheitliche Buchung und Bezahlung: Ein Account für alle Mobilitätsdienstleistungen
- Personalisierte Mobilitätsvorschläge: Anpassung an individuelle Präferenzen und Bedürfnisse
Pionier in Deutschland ist die Jelbi-App der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die den ÖPNV mit zahlreichen Sharing-Angeboten verbindet. Ähnliche Ansätze verfolgen die Münchner MVG mit ihrer "MVG Mobility"-App oder der Hamburger HVV mit "hvv switch". Diese Plattformen integrieren neben dem klassischen ÖPNV auch Bike-Sharing, Scooter-Sharing, Car-Sharing und On-Demand-Shuttles in einer einzigen Anwendung.
Mobilitätsstationen als physische Schnittstellen
Die digitale Integration wird durch physische Verknüpfungspunkte ergänzt. Mobilitätsstationen bilden die Knotenpunkte des multimodalen Netzwerks:
- Strategische Standorte: An ÖPNV-Knotenpunkten, in Wohnquartieren und an wichtigen Zielen
- Vielfältige Angebote: Kombination von ÖPNV, Sharing-Angeboten, Ladestationen etc.
- Nutzerfreundliche Gestaltung: Intuitive Orientierung, kurze Wege, Wetterschutz
- Informationssysteme: Digitale Anzeigen zu Verfügbarkeiten und Anschlüssen
Die Stadt Bremen hat mit ihren "mobil.punkten" ein vorbildliches Netz von Mobilitätsstationen entwickelt. An über 40 Standorten werden Car-Sharing, Bike-Sharing und ÖPNV intelligent miteinander verknüpft. Hamburg verfolgt mit den "switchh"-Punkten einen ähnlichen Ansatz. Diese physischen Hubs machen den Umstieg zwischen Verkehrsmitteln so einfach und komfortabel wie möglich.
Tarifliche Integration und neue Geschäftsmodelle
Ein zentraler Aspekt multimodaler Konzepte ist die tarifliche Integration der verschiedenen Mobilitätsangebote:
- Multimodale Abonnements: Kombinierte Tarife für ÖPNV und Sharing-Angebote
- Mobility Budget: Flexible Mobilitätskontingente für Unternehmen und ihre Mitarbeiter
- Pay-as-you-go: Nutzungsabhängige Abrechnung über eine einheitliche Plattform
- Quartiersmodelle: Mobilität als Teil des Wohnkonzepts mit inkludierten Basis-Diensten
Das "SWM Abonnement Mobil" der Stadtwerke München bietet beispielsweise neben dem klassischen ÖPNV-Ticket auch Vergünstigungen für Car-Sharing, Bike-Sharing und E-Scooter. In Leipzig erprobt die LVB mit "Leipzig Mobil" ein integriertes Abo-Modell, das neben dem ÖPNV auch Freiminuten für Car-Sharing und Bike-Sharing enthält.
Quartiersbezogene Ansätze und Mobilitätshubs
Besonders zukunftsweisend sind quartiersbezogene multimodale Konzepte, die Mobilität bereits bei der Stadtplanung berücksichtigen:
- Autoarme Quartiere: Reduzierter Stellplatzschlüssel zugunsten multimodaler Angebote
- Mobilitätshäuser: Kombination von Parkraum mit Sharing-Angeboten und Logistikfunktionen
- Nahversorgungskonzepte: Kurze Wege und lokale Versorgung reduzieren Mobilitätsbedarf
- Digitale Quartiersplattformen: Integration von Mobilität, Energie und Services
In Hamburg entsteht mit dem Quartier "Hafencity" ein Vorzeigemodell für integrierte Quartiersplanung. Im Münchner "Domagkpark" wurde ein innovatives Mobilitätskonzept mit reduziertem Stellplatzschlüssel und umfassenden Sharing-Angeboten umgesetzt. Diese Ansätze zeigen, wie multimodale Mobilität die Lebensqualität in Quartieren steigern und Flächenverbrauch reduzieren kann.
Herausforderungen und Lösungsansätze
Die Umsetzung multimodaler Mobilitätskonzepte steht vor verschiedenen Herausforderungen:
- Datenintegration: Unterschiedliche Standards und proprietäre Systeme erschweren die Vernetzung
- Geschäftsmodelle: Frage der Erlösverteilung zwischen verschiedenen Mobilitätsanbietern
- Flächenkonkurrenz: Begrenzte öffentliche Flächen für verschiedene Mobilitätsangebote
- Nutzerakzeptanz: Überwindung habitueller Verkehrsmittelwahl und Mobilitätsroutinen
Die Lösung dieser Herausforderungen erfordert die Zusammenarbeit verschiedener Akteure. In Deutschland haben sich daher multimodale Allianzen gebildet, wie die "Mobility Inside"-Initiative mehrerer Verkehrsverbünde oder die "Urban Mobility Platform" von Automobil- und Technologieunternehmen. Diese Kooperationen entwickeln gemeinsame Standards und Schnittstellen für integrierte Mobilitätslösungen.
Ausblick: Die Zukunft der multimodalen Mobilität
Für die Weiterentwicklung multimodaler Konzepte in Deutschland sind mehrere Trends erkennbar:
- Überregionale Integration: Ausweitung der Konzepte über Stadtgrenzen hinaus
- KI-basierte Optimierung: Prädiktive Modelle und intelligente Bedarfssteuerung
- Integration von Mikromobilität: Stärkere Einbindung von E-Scootern, E-Bikes etc.
- Autonome Shuttles: Flexibilisierung des ÖPNV durch selbstfahrende On-Demand-Dienste
Die multimodale Mobilität wird in deutschen Städten weiter an Bedeutung gewinnen. Sie bildet einen Schlüssel zur Lösung urbaner Verkehrsprobleme, indem sie die Stärken verschiedener Verkehrsmittel kombiniert und ihre jeweiligen Schwächen ausgleicht. Die konsequente Weiterentwicklung dieser integrierten Ansätze kann eine nachhaltigere, effizientere und komfortablere urbane Mobilität schaffen – zum Nutzen der Stadtbewohner und der Umwelt.